Wir müssen meine letzte Tante zu Grabe tragen. Die Sonne scheint, es ist für die Jahreszeit im Jahr 2021 Ende Februar schon recht warm. Die Vögel zwitschern, das Wetter steht im krassen Widerspruch zu meinen Gefühlen. Wie üblich bin ich so emotional, dass ich nicht mehr ganz zurechnungsfähig bin. Fahre mit dem Auto zum Friedhof Immenbeck. Ein schöner Name. Klingt nach einem Film aus den 50ern. Ist auf jeden Fall schön dort. Ich biege vom Waldweg ab zum Friedhof. Der erste Trauergast ist schon da.
Oh, denke ich, H. ist ja dick geworden und er sieht komisch aus, sehr gealtert. H. ist mein ältester Cousin. Ich steige aus und sehe H., er hat die Füße aus dem Auto und zieht sich Stiefel an, sehr dicke Stiefel, was will er mit so dicken Stiefeln? Ich gehe aber nicht zu H., es ist irgendwie strange. Na ja, ich warte also ab und beobachte H., der mich nicht wahrnimmt. Stehe am Friedhof, meine Gedanken gehen zu den Toten, aber ich kenne hier nur Onkel W., der gute Onkel W.. Er liegt dort seit 2006, schon lange her.
Es ist ein schöner Friedhof am Rande eines Waldes, hier fängt die Geest an, ich liebe die Geest. Ich stehe also auf Sand aus Skandinavien, er ist so schön hell und irgendwie positiv. Hier ist es trocken, unten in der Marsch ist es nass, man vergammelt bei lebendigem Leibe, warte man es nur ab.
Jetzt kommen meine Schwestern mit ihren Männern, ich stehe ja solo da, habe es aber auch nicht anders verdient. Meine Schwestern wie der Sonnenschein, wir lachen, schön, sich mal wieder zu sehen. Wir sprechen über die Tote. Der Tod war jetzt gnädig zu ihr, sie war über Neunzig, das Leben zum Schluss eine Qual. Dann kommen mehr Trauergäste, mein Cousin U., der Sohn der Toten. Er wie erlöst, sie hat ihn sehr beansprucht. Sie kam mit Kommandantenstiefelchen zur Welt, dann hat man es schwer.
Dann kommt H. auf uns zu, der richtige H., ich Idiot hatte einen Sargträger mit ihm verwechselt. Meine Nerven, sofort perdu wegen nichts. Die Zeremonie beginnt, die Trauergemeinde geht in die Kapelle. Wir setzen uns, eine Pastorin erzählt ohne große Empathie das Leben der Tante, ihren Lebendlauf, mehr nicht.
Der Sarg steht vorn in der Kapelle, dahinter sind hohe, gelbe Glasfenster, die das helle Sonnenlicht hereinlassen. Während die Stimme der Pastorin sich in Langeweile übt, sehe ich einen Schmetterling. Der Falter flattert die Fenster hinauf und hinab, er möchte hinaus. Doch alle Fenster sind verschlossen. Ich überlege, was ich machen könnte, um dem Falter zu helfen. Doch ich kann natürlich jetzt nicht stören.
Nachdem die Tante unter der Erde liegt, gehen wir den Weg zurück an der Kapelle vorbei. Der Falter flattert noch immer, ich sehe es auch von außen. Er will zum Licht, zur Sonne, zur Freiheit, doch er wird es nicht schaffen, schätze ich. Ich setzte mich in mein Auto und fahre nach Hause. Ich bin leer, sehr leer. Die Landschaft fliegt vorbei, ich denke an den Falter, das Licht, aber keine Lösung. So war die Beerdigung von Tante L.
Trauerarbeit Synonym: Trauerüberwindung