OPI - die Endzeit-Gaststätte in Buxtehude
Die Nacht, die Kneipe, das Getränk - die Dreifaltigkeit des ungläubigen Protestanten. So lieben wir es!

Der eine oder andere, zuletzt Sportsfreund Cacken, postete mir den Abriss der Hütte, in der unter Opis Regie sehr lange die alkoholisierte Himmelfahrt in Buxtehude zelebriert wurde. Nun ist er weg, der Alko-Tempel und in mir nur schöne Erinnerung, aber auch die Anerkennung eines endgültigen hinfortscheidens. Die Zeit frisst alles, schrieb ich Cacken, dessen Beruf, die Berufsjugendlichkeit, ihn immer noch am besten beschreibt. Nur meine Popel nicht, schrieb er zurück. Viellicht liegen ja einige noch zwischen dem Geröll vom Abriss der Kultstätte und sind mit auf dem Weg in das unabänderliche Nichts. Aber am Ende soll das All ja nur noch Staub sein und mit dabei ein paar Popel von Cacken? Könnte es also wieder zu einem Urknall führen, dann diesmal mit den besten Erinnerungsstücken aus good old Altkloster. 🙂

Einiges ist im Buxtehuder Tageblatt zu Opi geschrieben worden, aber meiner Meinung nach waren das nicht mal Querschläger der Wahrheit. Ja, da hing vor der ‚Alten Einkehr‘ mal ein Schild ‚wegen Reichtum geschlossen‘, weil es einen Tag vorher zur Sache ging. Aber viel mehr stand dort nicht, außer ein paar harmlosen Anekdötchen.

Geschwindigkeit freier Fall: v = g ⋅ t

Aber was machte Michael Obrecht, genannt Opi, wirklich aus? Das BT schreibt weiterhin: er versorgte seine Gäste mit Banalitäten und Bier. Aha, waren die dabei? Vielleicht waren sie einmal da, um dann aus Angst vor der giftigen Mondfahrt dann doch ganz schnell noch vor Mitternacht zu verschwinden. Denn richtig rund ging‘s erst so ab vier oder fünf Uhr morgens, wenn Opi abschloss und veranlasste, dass es sozusagen in medias res ging, ach wie herrlich das doch war!

Dabei wurden öfters hochintellektuelle Gespräche geführt, so die Analyse zum freien Fall in Opis Salon. Die Fallgeschwindigkeit v, wusste ich, damals noch Nachtschlosser und nicht Iltis, doch dazu einmal später, ergibt sich aus g, der Getränkeanzahl in Multiplikation mit t, der Trinkgeschwindigkeit. Sah ich zunächst in fragende Augen, wurde ich doch bald als Professor gehandelt, Opi war Feuer und Flamme, die anderen auch, sie hoben mich im Morgengrauen auf das Schild der Schilde. Lange schon das Fußvolk zur frühen Stunde weg, die Götter waren nun in Walhall, sozusagen und temporär, na immerhin. Das hatte also schöne Höhepunkte schon im Canapé in der Moortorstraße. Wir nahmen neben Bier, Drinks und Schnaps auch verbotene Substanzen zu uns. Zwecks versteckter Aufnahme derlei Art waren wir auch unten im Keller, das erforschen des menschlichen Seins kannte keine Grenzen. Heute wird dort ja ein Friseursalon betrieben. Wenn die heute wüssten, was unter ihren Füßen einmal tobte, sie kämen beim Haare schneiden bestimmt komplett aus ihrem gestalterischen Gleichgewicht.

Mittels bester Spaßhöhe in sämtliche Gläser gesprungen

Und Opi, obwohl ich nicht schwul bin, habe ich geküsst, schon unten in seiner Feier-Kathedrale vom Canapé. Er war einfach ein ganz feiner Mensch. Vor dem Canapé war da die Klein-Disco namens Joy drin und davor die Gaststätte ‚Zum Fährhaus‘. Das Canapé hatte schon vor seiner Übernahme Bestand, doch mit ihm zog ein neuer Geist ein. Das offene, das friedliche, ja das freiheitliche, das im Rahmen der Gastfreundschaft in Buxtehude seinesgleichen suchte. Ich hatte vorher die Hoheluft betrieben mit Herry und Jockel und mein hedonistischer Ansatz fiel in Opis Räumen auf fruchtbarsten Boden: hier konnte hemmungslos gesoffen werden, wer wollte, sprang aus bester Spaßhöhe in sämtliche Gläser. Nun, es war nicht nur eitel Sonnenschein. Mein Zirkel ist inzwischen größtenteils tot, sie nahmen den Stoff aus großen Bechern und ihre beschädigten Seelen verlangten eben immer mehr. Wir standen zusammen, lachten und soffen, der Durst war vordergründig, inwendig war eine Negativ-Anzeige, der Grund für ihren Ausschlag erschien selbst seinem Besitzer oft abwegig bis absonderlich. Doch sei’s drum, meine letzten Zeilen für Opi verlangen Ergänzung.

Im alten Canapé unvergessen: Eberhardt der Seebär

Eberhardt (zerknautschter Hut, grauer Backenbart, mit ebenfalls zerknautschten, ehrlichen Gesichtszügen) hatte seine Frau verloren und wollte nicht mehr. Opi musste ihm die feste Nahrung – ja, gab’s auch einmal beim ihm – regelrecht aufdrängen. Wir waren auch privat bei Eberhardt, zu Gerhard Wendlands ‚Tanze mit mir in den Morgen` sanken wir irgendwann zu früher Stunde besinnungslos auf den Boden und es kam öfter vor, das wir sangen und sanken, aber dieses sinken feierten wir lauthals als Helsinki, es konnte gar nicht blöde genug kommen. 

Ja, die Freude. Sie steckt in allen meinen Genen, natürlich auch die schwarzen Aspekte des Lebens, aber in Opis Kathedrale in der Moortorstraße wurden alle hellen Lichter in mir geweckt, hüpften vor explosiver Geilheit, wenn ich die ganzen durchgeknallten Gesichter dort wieder und wieder entdeckte, zu Exkursionen ins Wunderland menschlicher Verzückungen und Entrückungen. Wie oft habe ich dort „Lokalrunde“ ins Kneipenfirmament gegrölt, ich weiß es nicht. 1000 Mark auf dem Zettel? Hatte ich öfters. Und Opi als Gralshüter des freiheitlichen Kampftrinkens hinterm Tresen, er brachte als homosexueller Wirt die Travestiekunst nach Buxtehude, danke dafür, Opi, Du Himmelsclown, aber mehr noch liebte ich es, wenn wir alle wie die Irren die Gläser ohne Unterlass in uns hineingossen.

Einige seiner Fähigkeiten kannten viele nicht. Opi konnte auch aus der Hand lesen. Murphy hatte er zwei Töchter prophezeit, mir ein anderes Leben. So kam es.

Die gute Kundschaft in Opis Kneipe in Buxtehude

Viele Gesichter laufen noch einmal an meinem inneren Auge vorbei, zum Beispiel Lothar und Norman, die beiden hatte ich auch lieb, warum auch immer. Lothar Breinlinger war Oberleutnant, blond und immer sehr freundlich. Ich habe eben einmal die Todesanzeige herausgekramt und stelle fest, dass Lothar Breinlinger als Oberstleutnant d. R. – ich muss mich also berichtigen – im Februar 2010 verschied und Roman Neutmann einen Monat später. Der unbeholfen, aber ehrlich lächelnde Lothar und der meist lieblos und verdrießlich schauende Norman – ein ungleiches Liebespaar. Roman hatte immer so komische Pullover an und Pullovern habe ich noch nie über den Weg getraut (wären aber eher Muskelshirts gewesen, sagte Galen heute am 08.06., um sich Konkurrenten für Lothar im wahrsten Sinne des Wortes vom Hals zu halten). Roman sah mich immer reserviert an, aber ich stehe mir ja auch reserviert gegenüber (ein Iltis, ein Iltis!), ich konnte ihn also verstehen.

Aber mit der Ordnung und der Sauberkeit hattest Du es nicht, lieber Opi, doch Schwamm drüber, es gibt schlimmeres. Ich bildete mir immer ein, es röche auf der Toilette immer nach altem Grünkohl, aber verdammt, es war uralte Pisse, sorry. Deshalb musstest Du auch raus aus der Eckkneipe und rein in die ,Alte Einkehr`. Mein Lieblingsplatz war dort an der Öffnung, worüber das Schild mit der Aufschrift ‚Methadonklappe‘ hing, da konnte man von erhöhtem Posten so schön die verkommenen Gesichter der Cliffhanger begucken.

Alles sehr merkwürdig, die Verblassung

Die Wunderbar verblasst, selbst die Hoheluft, mein Traumdomizil, verblasst, der Abriss von Opis Kneipe hat mich nun so geschockt, dass noch einmal Opis Sein und Wirken in den Focus gelangt. Von der ,Alten Einkehr` dann der Umzug in die Hütte, die einmal Folke Wiegers (Journalist und Frischfleischbeschauer der besonderen Art, wirklich bitter) und die Vier Titten bewirtschaftet hatten. Zu Zeiten der Vier Titten habe ich den Schuppen nur einmal besucht, mit Galen und Bohli an einem verregneten Vatertag, muss so um 1998 oder so gewesen sein, aber damals merkte ich schon, dass allein die Geographie der Hütte ein gewisses Potential hatte. Ich als jemand, dessen Vater noch bäuerlicher Herkunft war, habe zwar keine Ahnung mehr vom Ackerbau, doch ich weiß, der helle Sand da oben von der Geest und an der Rennbahn hat positiven Einfluss auf mich oder ich bilde es mir zumindest ein. Wäre ich Bauer geworden, ich wäre nicht in die schwarze Erde der Marsch gegangen, sondern hätte den hellen Boden der Geest beackert.

Es ist Sonntag, die Heilige Stunde des Expertenrats

Betrat ich an einem schönen Sommertag am Sonntag dieses kleine eckige Häuschen von Opi so gegen 18 Uhr, lugte nicht nur die abnehmende Sonne hinein, sondern auch der Expertenrat mit Ede, Piepen, Ziege und Konsorten. Wenn dann Besoffene vom Tresen aus ihren Senf abgaben und verächtlich zum Stammtisch sahen, war das moderne Theater perfekt, Heiner Müller hatte keine Ahnung von solch begnadeter Kunst. So wie die vom unvergessenen Spiddel Meier, dessen hochrangige, meistens tief wissenschaftlich verbrämte Meinung größte Resonanz hervorrief wie „alle Achtung, was hat er nur wieder für einen im Kahn?!“ Oder der stille Trinker Peach Cohrs, ich grüße Dich – den, der  auch an einem anderen Ort verweilt, zu dessen Ausgestaltung wir alle nur fragende Gesichter machen können. Was konnte der saufen! Alle neune, kann ich da nur sagen; ist zwar eigentlich blanker Unsinn, wiederum umgehauen hat den wirklich nichts, aber der Unsinn ist zudem die einzig gute Waffe gegen das System der Überprofessionalisierung (reiches, armes Deutschland).

Bedröppeltes Stillleben aus Schweigen und Divendasein

Nun treffen von vielen Seiten Bilder des Alko-Tempels ein, die den Abriss dokumentieren. Auch von Galen, der sich zu Lebzeiten Opis nie scheute, der grün-gelben Froschkotze* in einem kleinen, flachen Glas seine Aufwartung zu offerieren. Galen konnte ja auch ein so ruhiger, stiller Genießer sein, zum Beispiel, wenn Opi, diese Diva, entsprechende Allüren an den Tag legte und hinter einer Zeitung oder eben auch ohne Zeitung vor sich hin schwieg. Da war der Minnegesang des einsamen Kneipenlebens zu vernehmen, ohne Musik, im Hintergrund tropfte ein wenig Wasser in das Spülbecken und ansonsten wurden neben dem morschen Kneipengeruch nur die ewigen, unausgesprochenen Fragen an die Decke gedacht, an der Stelle, wo der Besoffene von gestern alle ägyptischen Taxifahrer zum Deubel gewünscht hatte. So und ähnlich ging der klagende Minnegesang bei Opal – mit der Bezeichnung konnte ich ihn immer so schön ärgern.

Meine Sitzecke – die Andachtsstätte für wackere Trinkerei

Ja, und bei diesen romantischen Reminiszenzen fällt mir die kleine Sitzecke ein, die gleich rechts neben dem Eingang fest installiert war. Ich setzte mich möglichst so, dass ich mit meinen Augen den Tresen bestreichen konnte, so, dass ich mit einem schnellen Handzeichen jubilierend die nächste Runde bestellte; deshalb weiterhin so, weil mein Blick auf das herrlich bunte Glasfenster fiel, das den Buxtehuder Wettlauf zwischen dem Hasen und Igel beschrieb (ist nun im Bierbaum zu sehen) und den darunter liegenden Stammtisch heiligsprach. Einmal saß ich dort am Sonntag und hatte seit Donnerstag Gas gegeben, ach herrjemine, was war ich nur für ein Brigand, doch hatte es so sollen sein, der liebe Herrgott ließ mich in Schuhe, die mich immer schnurstracks an den Tresen führten, gern in Berlin, gern zuhause beim Hasen und Igel und zu gern bei Opi – alles nun vorbei!  

Alles nur noch Müll

Am 01. Januar 2024 hatten sie die hölzerne Sitzbank mit dem orangenen Bezug schon nach draußen verfrachtet. Sie stand im Regen und auf nassen Laub, sah irgendwie seltsam und sehr, sehr traurig aus, die Bank, die mich so oft getragen hatte, nun schief und nachlässig zum Sperrmüll degradiert und als ich es sah, wusste ich, der Realität muss man ab und zu ins räudige Maul rotzen. Doch Schluss nun, auch das hässliche ist benannt, es gehört zum Leben. Ich könnte nun noch ewig weiterschreiben über die vielen Partys dort, doch dann blutet mein Herz doch wohl bald zu viel.  Aber diese Zeilen bin ich Opi schuldig – und ein Gruß an alle, die dabei waren – danke, danke, danke!

Tipps zu Opi alias Michael Obrecht Buxtehude

Ein Gedanke zu „Opi tot, nun zog sein Alko-Tempel auch hinfort“
  1. Ganz ganz wunderbare Hommage an ein wunderbares Unikat Mensch…danke dafür!!!

    In vielen Geschichten sehe ich mich wieder. Ich denke, wir dürften den einen oder anderen Abend im „alten“ Canapé zusammen gesessen haben… 😉

    Hier meine spontanen Worte zu Opis Verschwindikus aus dieser Welt:
    „Wenn man sich bei dir an den Tresen setzte, bekam man auf ein munteres „Wie geht’s?“ meistens ein launiges „Beschissen ist geprahlt“ zurück geraunt. Tat der allgemeinen Stimmung des restlichen Abends aber trotzdem nie wirklich einen Abbruch.
    Die Abende und Nächte in deinem legendären ‚Canapé‘ am Buxtehuder Hafen in den 90ern; magisch, irre, einzigartig, dionysisch im wahrsten Sinne des Wortes, oftmals in totaler Rauschekstase endend, wenn du nachts um 4.38 Uhr von innen die Tür zugeriegelt hast und mit ausgesuchten Nachtfaltern, die wie ich auch nie ein halbwegs gesundes Ende finden konnten und wollten, nochmals die „Nachspielzeit“ eingeläutet wurde.
    Die Zeit mir dir, wenn sich außer uns beiden zu früher Abendstunde noch niemand in deine Kneipe verirrt hatte; unvergessen, weil: du hattest Geist, Witz, Tiefe, Feinsinn. Das, was ich jetzt mal unverhohlen „Barkeeper-Schläue“ nennen würde.
    Als es mich dann irgendwann in die große Stadt zog, war ich mir sicher, dass ich da doch irgend etwas Vergleichbares finden müsste, doch dem war nicht so. Anscheinend findet man solch ein „Wohnzimmer“ daher wohl also wirklich nur einmal im Leben…
    Ich könnte hier nun noch unzählig viele Geschichten und Begebenheiten erzählen über uns und gemeinsam erlebte Zeiten (nicht nur in deinem Laden), aber die gehören hier nicht hin, denn die nehme ich, wie du auch, irgendwann ebenfalls mit ins Grab.
    Ich bin sehr glücklich, dich tollen und angenehm nonkonformen Menschen kennengelernt haben zu dürfen und froh, dir vor einigen Monaten noch einmal einen letzten Besuch abgestattet zu haben.
    Dein viel zu früher Abgang tut weh, mein Lieber, verdammt weh…
    Mach’s gut, Opi…“

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