Damit Geschichten nicht für immer aus dem Gedächtnis der Zeit verschwinden, wieder eine Story aus der unglaublichen Kneipenwelt der Kleinstadt mit dem seltsamen Namen.

Den ‚Holsten Ritter‘ gab es bis in die achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts im Stadtteil Altkloster, in der Allersstraße 3, parterre rechts abgehend vom Mitteleingang. Dort wurde der Gast von einer sehr einfachen Kneipenmöblierung empfangen. Unter einer ‚Holsten Ritter‘ Neon-Leuchtreklame (das Logo seit 2020 ohne Schwert, hat eine Brauereimanagerin durchgesetzt, wegen #Metoo etc.) zapfte der Wirt Holsten-Bier und fertigte einfache Getränke.

In den hinteren Räumlichkeiten zum Hof hin war die Toilette, im Flur stand ein Flipper. Hier trafen sich einfache Leute, schräge Vögel und Menschen, die sich für angesagt hielten. Ich kam auch ab und zu, wenn ich nichts Besseres zu tun hatte. Kam leider öfter vor.

Der Chef vom Holsten Ritter

Erinnere mich noch an den letzten Wirt, der hieß Noschialek oder ähnlich. Er war groß, hatte längere, leicht gewellte, dunkle Haare, einen Vollbart, aber den hatten wir fast alle irgendwann einmal, nur machte man damals noch nicht so viel Wind von so was. Er hatte immer eine dunkle Lederjacke an und machte mit einem Aktenkoffer auf wichtig. Aber er war kein Büromensch, er war ein Freak und wenn so einer einen Aktenkoffer dabeihatte, bedeutete es, dass er irgendetwas schwer am Start hatte.

Eines Tages stand ich am Flipper, es war Samstag, es war nicht viel los. Am Tresen stand ein kleinerer Mann im Streifen-Anzug und Borsalino mit zwei anderen Hacken, dass war‘s. Hatte schon Bedenken, dass es sehr langweilig wird.

Rockeralarm

Plötzlich der Lärm von Motorrädern dem Hof, der rückwärtige Eingang wurde aufgerissen. Ein Rocker ließ seine Maschine aufheulen und rollte hinter mir in den Laden.

Eines war nun sicher: Gleich war Ärger angesagt, es war nur noch die Frage wann und für wen. Ich trug auch ne schwarze Lederjacke an, hatte auch nen Bart, mittellange Haare, nur die Rocker sahen es mir an der Nasenspitze an, dass ich zu den sogenannten ‚Oberschülern‘ gehörte und damit passte ich ganz wunderbar in ihr Beuteschema. Ich stand also ziemlich blöd am Flipper, aber gut, der Hinterausgang war nur ein paar Meter entfernt, meine Chance, hm. Mit dem Typen auf dem Bock kamen noch andere Rocker rein, die unter großem Brimborium am Tresen erklärten, dass nun alle auf ihr Kommando hören sollten. Der mit dem Borsalino wurde noch ein Stück kleiner als sowieso schon.

Es wird interessant

Zu dumm auch, dass ich mich immer besonders umwenden musste, damit ich verfolgen konnte, was die so machten. Jemanden von denen zu viel Aufmerksamkeit zu schenken, konnte die Frage nach sich ziehen, warum man so blöd guckte. Ich spielte weiter am Flipper, steckte mir eine an. Ich hatte aktuell keinen Stress mit den Rockern, aber dass konnte sich ja schlagartig ändern. Ich spielte also, trank mein Bier und plante meinen Abgang, als ein weiterer Rocker durch den Haupteingang reinkam. Er trug etwas auf der Schulter. Konnte es zunächst nicht richtig ausmachen, was es war und wollte es auch zuerst nicht glauben. Der Typ hatte einen echten Sack Zement auf der Schulter. Ab sofort herrschte Alarm-Stimmung. Damit wollte er natürlich Scheiße bauen, klar, und der Typ lachte dann auch eine ziemliche Zeit dumm herum, bestellte sich ein Bier und bekam es vom Wirt.

Böser Zementstaub, leider kein Happening

Mein letzter Pinball machte gerade ‚Bing, Bing, Bing‘, da luscherte ich mal wieder zum Tresen und sah wie der Typ den Zementsack hochstemmte und ihn mit voller Wucht auf den nassen Tresen warf.

Der Zementstaub legte sich nun wie der Fallout einer Atombombe über den kompletten Gastraum. Irgendwie wollte ich das alles nicht glauben. Lautes Männerlachen und hämische Freude hätten in all dem trockenen, grau-weißen Kalkstaub dies nun zu einem surrealen Happening a la Joseph Beuys werden lassen können, doch das hier war eben der ‚Holsten Ritter‘ in Buxtehude mit den Männerritualen einer Bande, die nur Spaß verstanden, wenn sie ihn veranstalteten. Zu Hause etwas über die missbrauchte Badewannen-Kunst von dem Ex-Stuka-Flieger und Hutträger Beuys im TV zu sehen und beleidigt zu sein, weil das schein-intellektuelle Leben zum tatsächlichen nicht passte, diese Rechnung ging so nicht auf.

In der Riesen-Staubwolke hörte ich den Wirt sagen, er hätte nun die Schnauze gestrichen voll. Er soll dann, so erfuhr ich später, den Kneipenschlüssel auf den Tresen geschmissen und den Laden stante pede verlassen haben. Ich verschwand vorher durch den Hinterausgang und warf schnell den Opel Caravan 1500 an, den ich mir von meinem Vater geliehen hatte. Danach war der ‚Holsten Ritter‘ für immer geschlossen. Noschialek habe ich nie wieder gesehen. Friede sei ihm, seinem Aktenkoffer und dessen Inhalt nachträglich erstattet. Vielleicht gab es ja bessere Pläne.

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